Ist Resilienz (Stress) messbar?

von | Sep 23, 2021

Es gibt verschiedene Methoden, um Resilienz (oder Stress) zu messen. Ich nutze in meiner Beratung die HRV-Messung. Resilienz bedeutet in diesem Zusammenhang, die Zeit die benötigt wird, um nach Stress wieder in den „normalen“ Modus zurückzukehren.

HRV-Messung (Herz-Raten-Variabilität oder eng. Heart-rate-variability) misst den Abstand von einem Herzschlag zum anderen in Millisekunden. Sie ist nicht zu verwechseln mit der klassischen Pulsmessung, in der die Frequenz pro Minute gemessen wird. Mehr zur HRV-Messung weiter unten in diesem Text.

Die Kurzzeit-HRV-Messung (~5+1 Minuten)

Die Kurzzeit-Messung besteht aus einer ersten Messung im Ruhezustand des Körpers (5 Minuten).

In einer zweiten Messung wird die Ein- und Ausatmung (RSA-Messung) untersucht.

Am Computer werden die gemessenen Daten analysiert und graphisch aufbereitet. Die Auswertung hilft zu erkennen, wie gestresst unser Körper tatsächlich ist. Mit einer einfachen Graphik wird ersichtlich, wie angespannt der Körper ist und wie schnell er sich erholen und regenerieren kann.

Die Kurzzeit-HRV-Messung wird genutzt, um die aktuelle Stress-Belastung zu messen. Einsatzbeispiele sind z.B.:

  • Messung zu Beginn und am Ende eines 8-wöchigen-MBSR-Training
  • Messung in Begleitung eines persönlichen Coachings
  • Messung in der betrieblichen Gesundheitsförderung (-> BGF)
  • Messung im Spitzensport, um Training und Erholung in Balance zu halten
Kurzzeit-HRV-Messung – © BioSign GmbH (https://www.biosign.de)

Die Langzeit-HRV-Messung (~48 Stunden)

Anders als bei der Kurzzeit-HRV-Messung, geht es bei der Langzeit-HRV-Messung darum zu erkennen, wie der Proband bestimmte Tages- oder Nachtphasen erlebt.

Neben dem Verhalten unter Stress werden wichtige Informationen über Schlaf- und Entspannungsphasen im Alltag aufgezeichnet. Die Messung hilft zu erkennen, welche Tätigkeiten für den Körper und die Gesundheit hilfreich und welche weniger hilfreich sind.

Eine typische Langzeit-Messung dauert 48 Stunden. Dabei wird dem Probanden ein kleines, nur wenig Gramm schweres Messgerät (Mini 1 Kanal EKG HRV Messgerät) an Schlüsselbein und Rippenbogen mittels EKG-Klebe-Elektroden angebracht.

Einsatzgebiete der Langzeit-HRV Messung sind:

  • Analyse des Schlafverhaltens
  • Prüfen der Erholungsphasen (am Tag wie auch in der Nacht)
  • Beobachtung der Balance des Herzkreislaufsystems und des autonomen Nervensystems über 24 Stunden

Geschichte der HRV-Messung

In der Traditionellen Chinesischer Medizin (TCM) spielt das erspüren des Pulses eine wesentliche Rolle für die Diagnose und der Behandlung von Patienten. Erfahrene TCM-Ärzte können anhand der Qualität des Pulses Ungleichgewichte im menschlichem Energie-System erkennen und entsprechend ganzheitlich behandeln. Schon vor über 1700 Jahren hat der chinesische Arzt Wang Shu-he in seinen Schriften „Mai Ching“/“The Knowledge of Pulse Diagnosis“ folgendes zum Thema Pulsdiagnose geschrieben:

„Wenn der Herzschlag so regelmäßig wie das Klopfen des Spechts oder das Tröpfeln des Regens auf dem Dach wird, wird der Patient innerhalb von vier Tagen sterben.“

Ein Puls soll sich also besser wie ein Gummiband in seiner Frequenz immer wieder leicht verändern können, um besser auf aktuell benötigte Energie-Anforderungen des Körpers zu reagieren. Je starrer und maschineller dieser Puls wird, desto mehr Stress wird empfunden und der Körper ist nicht in seinem Gleichgewicht.

In der westlichen Medizin hat man ab 1965 begonnen bei der Geburtshilfe die Kardiographie (Elektrokardiographie EKG) zu nutzen, um den Stress beim Ungeborenen zu messen („fetal distress“). So kann ein Arzt anhand der Messung entscheiden, ob ein Kaiserschnitt notwendig ist. Dies wird bis heute in fast unveränderter Form genutzt. Gemessen wird dabei beim Ungeborenen der Abstand von einem Herzschlag zum anderen in Millisekunden.

HRV R-R Intervall in Millisekunden

Auch in der HRV-Messung wird der Abstand von einem Pulsschlag zum anderen in Millisekunden gemessen und ausgewertet.

Mitte der 90er haben Mediziner und Sportler die Vorteile der HRV-Messung im Spitzensport entdeckt. So konnte schnell bestimmt werden, ob ein Sportler übertrainiert ist und so vielleicht beim Wettkampf nicht seine maximale Leistung erbringen kann. Im heutigen Spitzensport werden Sportler zum Teil rund um die Uhr gemessen, um die Balance zwischen Spannung und Entspannung zu optimieren.

Erst Jahre später wurde die HRV-Messung für das Messen von Stress im Allgemeinen eingesetzt. Bis heute wird diese Messung zur Überwachung von Herzinfarkt-, Diabetes mellitus- und Trauma-Patienten sowie Burn-out Patienten eingesetzt.

Der gesunde Mensch hat einen Pulsschlag von 60-80 Schläge pro Minute. Bei genauer Betrachtung der Messung stellt man fest, dass unser Herz nicht immer im gleichen Rhythmus schlägt. Bei der Einatmung ist der Abstand geringer und der Pulsschlag höher als bei der Ausatmung. Der Grund dafür ist, dass bei der Einatmung mehr Energie benötigt wird, als bei der Ausatmung. Gesteuert wird dieser Wechsel von unserem autonomen Nervensystem (ANS). Somit messen wir in der HRV-Messung zwar den Abstand von Pulsschlag zu Pulsschlag, aber wir messen auch das Gleichgewicht in unserem Nervensystem, welches unseren gesamten Körper steuert und so eine zentrale Rolle für unser Wohlbefinden einnimmt.

Interview mit Prof. Dr. Jochen Jordan zum Thema HRV Messung

Messung von Stress mit HRV Messung:
Herzratenvariabilität (HRV) Prof. Dr. Jochen Jordan

Stress geht auf die Nerven…

Die Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus

Der Sympathikus ist der „Gasgeber“ und der Parasympathikus der „Bremser“ in unserem autonomen

Nervensystem (ANS). Wenn beide im Gleichgewicht arbeiten, ist der Mensch gesund. Somit messen wir mit der HRV-Messung unsere Elastizität. Vergleichbar ist dies mit einem Gummiband, welches immer wieder gedehnt und dann wieder entspannt wird. Ist dieses Wechselspiel nicht mehr vorhanden, so wird der Körper über kurz oder lang krank.

Von Geo-Science-International – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Unter Stress ist hauptsächlich der Sympathikus (siehe Abbildung oben rechte Seite) tätig. In diesem Modus sind wir bereit, auf extreme Situationen zu reagieren, in denen wir kämpfen, flüchten oder uns Tod stellen. In Gefahrensituationen hilft uns Stress zu überleben, da wir nicht denken, sondern sofort reagieren können. Hält Stress jedoch über längere Zeit an, so schadet dies unserem Körper und unserer Gesundheit. Dabei unterscheidet unser Körper nicht zwischen echtem Stress (Lebensgefahr) und Stress am Arbeitsplatz oder Privat den wir durch unser Denken auslösen.

Unter Stress leidet nicht nur unser Schlaf, sondern auch die Verdauung, die Aufnahme von Nährstoffen und sogar unser Denken ist beeinträchtigt. Kreativität und klares Denken sind unter Stress nicht möglich. Achtsamkeit hilft uns den Parasympathikus zu stärken und den Sympathikus zu beruhigen. Wir schlafen besser, unsere Verdauung funktioniert und wir können klar denken.

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